Bericht vom Workshop des Projektträgers: "Standardisierung im E-Learning" am 10. und 11. April an der Universität Frankfurt

Der Projektträger veranstaltete einen Workshop zu diesem Thema zusammen mit dem Kompetenzzentrum für Neue Medien in der Lehre an der Universität Frankfurt, da nur auf Basis von Standards und Spezifikationen Verwaltungs- und Verwertungsmodelle entstehen können, "die eine breite Nutzung von eLearning Modulen bis hin zur Entwicklung eines entsprechenden Marktes ermöglichen" (aus dem Vorwort der Veranstalter).

Was die "breite Nutzung" angeht blieben die Veranstalter und Referenten allerdings einen Nachweis schuldig. Es war eine Versammlung von Anbietern (nämlich von E-Learning Inhalten) und nicht von potenziellen Kunden. Dies soll kein Vorwurf an die Adresse der Veranstalter sein, die eine Dienstleistung für eben diese Anbieter erbringen, sondern ein Desiderat benennen. Man weiß zu wenig über die andere Seite des Marktes. Das macht die Gestaltung des Angebots umso schwieriger. Eine Studie bei potenziellen Abnehmern und bei Anbietern bereits vorhandener Materialien wäre hilfreich, vielleicht auch erst gegen Ende der Laufzeit des Förderprogramms. Aber ohne empirische fundierte Informationen über den Nutzerkreis und deren Verhalten wird die Diskussion um den richtigen, angemessenen oder ausreichenden Metadatensatz für die Beschreibung der Inhalte schnell akademisch. Man sollte bei einer Nutzerstudie auf gar keinen Fall die Corporate Universities vergessen. Dort wird eine Menge Geld in "lebenslange" Fortbildung investiert, dort herrscht aber auch eine klarere Kosten-Nutzen-Rechung vor, die einen vielleicht an den Universitäten nicht so ausgeprägten Pragmatismus befördert.

Den Veranstaltern ist es jedenfalls gelungen, die Vertreter von etwa 60 geförderten Projekten mit den richtigen Ansprechpartnern zusammenzubringen. Hier seien nur Erik Duval, der sich als einer der Protragonisten des ARIADNE Projekts wie kein zweiter in Europa mit dem "Learning Objects Metadata" (kurz: LOM) (Fast-)Standard auskennt und Rob Koper, der die Education Modelling Language (EML) mitgestaltet hat und aussichtsreich vertritt, genannt. Duval zeigte, dass LOM nur noch einen Schritt vom weltweiten Standard entfernt ist. Das Dokument wird in Kürze von der ISO im sogenannten Fast-Track-Verfahren beraten, eine Art Schnellverfahren. So konnte man als Anwender von LOM mit dem guten Gefühl nach Hause fahren, dass man im Mainstream mitschwimmt. Der Vortrag machte aber auch deutlich, warum die Hurra-Schreie im Publikum ausblieben. Es gibt zwar ein den Standard beschreibendes Dokument, aber keinerlei Interpretation dieses schwierigen Werks. Duval begrub auch alle Hoffnungen auf ein 500-seitiges Standardwerk aus seiner Feder. Dafür fehle ihm die Zeit. So ist die Interpretation der zulässigen Wert für ein Attribut wie "semantic density" doch wieder Sache der einzelnen Projekte und es bleibt unklar, ob Anbieter und potenzielle Nutzer von mit LOM beschriebenen Materialien auch das gleiche meinen. Nicht nur diese mangelnde Klarheit der Interpretation von Attributen und Attributwerten, auch der durch den zähen Verhandlungsprozess erzwungene Minimalismus der Metadaten führte bei den meisten Teilnehmern, die LOM zur Kenntnis genommen hatten, zu Unzufriedenheit. Dies lässt sich an vielen Beiträgen, die aus den Projekten kamen, ablesen.

Einen deutlichen Ausdruck findet dieses Unbehagen an dem "LOM" Ansatz im Design der "Educational Markup Language" (EML), die von Rob Koper vorgestellt wurde. EML steht keinesfalls in unlösbarem Widerspruch zu LOM, sie ist eher als Erweiterung von LOM zu verstehen. EML und LOM sind eher der materiale Ausdruck einer noch keinesfalls gelösten Diskussion: soll man das materiale Produkt des Lernprozesses beschreiben - in LOM "learning object" genannt - oder den Lehr/Lern-Prozess, der die materiale Basis umfasst, aber auch die Lehrenden, Lernenden und deren Aktivitäten modelliert. In EML spricht man hierbei von einer "Learning Unit".

Ein Workshop mit dem Thema "Standardisierung im E-Learning" berührt letztlich zwei Fragenkomplexe, die um die Begriffe "Metadaten" und "Standards" kreisen.

Metadaten

Die erste Frage, die sich in Hinsicht auf die Verwendung von Metadaten zur Beschreibung von E-Learning Inhalten und / oder Szenarien stellt, ist: warum sollte man sich der zusätzlichen Mühe unterziehen? Der Kommentar eines Teilnehmers (nach dem Vortrag von Maik Stührenberg), dass er diese Zusatzleistung seinen AutorInnen schlecht vermitteln könne, löste im Publikum besorgtes Kopfnicken aus. Die Schlüsselwörter hierfür sind wahrscheinlich: Motivation und Unterstützung. An Unterstützung wäre schon viel geleistet, wenn projektübergreifend und für den kommenden LOM-Standard als Minimallösung eine Handreichung, eine Spezifikation und zumindest ein XML-Binding entstünden bzw. zur Verfügung gestellt würden. Dies ist ein weiteres Desiderat, das vielleicht in einem vom Projektträger geplanten Forum zu diesem Thema angegangen werden kann.

Die Frage nach der Motivation ist schwieriger. Immerhin hat m.E. der Vortrag von Erik Duval, der sich auch direkt mit ARIADNE auf einen "Marktplatz" für E-Learning Produkte beziehen konnte, einiges an Illustration über den Nutzen von Metadaten geleistet.

Ansonsten wurden die Vorzüge von Metadaten:

geradezu gebetsmühlenhaft wiederholt. Richtig deutlich wurde und wird der Nutzen aber erst, wenn man entstehende Marktplätze und Tauschbörsen sieht. Da waren die Vorträge von Trahasch (ARIADNE), Simon (UNIVERSAL), Allert et al. (Edutella) und Christopher Carlson (IWFcontentport) sehr hilfreich und hätten m.E. mit Online Demos vor Ort angereichert werden können.

Ein weiterer Vorzug von Metadaten liegt mehr oder weniger versteckt in den Programmen, die früher oder später auf diese zugreifen und "Sinn aus ihnen holen" werden. Darauf wies Erik Duval in der Diskussion zu seinem Vortrag hin. Dies wird aber auch deutlich in der Vision benutzer-adaptiver Lerneinheiten, wie dies Erica Melis in ihrem Vortrag darstellte.

Die zweite wichtige Frage, die es zu klären galt und gilt ist, welche Objekte bzw. Szenarien man eigentlich auszeichnen möchte. Wir haben bereits den konzeptuellen Unterschied zwischen "learning objects" (LOM) und "learning units" (EML) erwähnt. Bleiben wir bei den Learning Objects, dann stellt sich die Frage, was als solches Objekt in Frage kommt. Die Praxis der Auszeichnung ist in LOM durch 4 "aggregation levels" vorgegeben. Die Granularität geht, wenn man den Standard durchhält, bis herunter zu Atomen wie Bildern, Grafiken, Tondokumenten, Videos etc. Richard Huber vom FIZ Chemie, der das Projekt "Vernetztes Studium Chemie" vorstellte, bezeichnete eine zu starkte Granularisierung von Lernobjekten aber als nicht sehr nützlich, und dies vor dem Hintergrund von knapp vier Jahren Arbeit in diesem ältesten Projekt des Förderprogramms. In der Tat dürfte sich die Nachfrage nach einem einzelnen Bild oder Tondokument eher im Journalismus als in der Lehre stellen. Es gibt aber durchaus auch für solche Objekte Wiederverwendungsszenarien in der Lehre, wie vor allem der Vortrag von Reinhard Friedl zeigt.

Neben der Granularität stellt sich die Frage nach "Objekten", die im Standard nur schlecht berücksichtigt sind. Das wurde deutlich bei den Simulationen, die oftmals die Essenz eines Lernszenarios ausmachen. Die Mühen der Beschreibung wurden deutlich in den Vorträgen von Stefan Krause und von Wolfram Horstmann. Beide Beiträge können Projekten mit ähnlichen Anforderungen zur Lektüre empfohlen werden.

Auch Tests und ähnliche Prüfungselemente erfahren eine gesonderte Behandlung. Sie tauchen in LOM, wo auf eine Spezifikation des IMS Learning Consortiums Bezug genommen wird.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist der der Lexikalisierung des Wissensgebietes, auf das sich Lehrgebiete beziehen. Simon schreibt in seinem Beitrag: "in order to achieve semantic interoperability between learning resource descriptions of heterogeneous sources, a semantic modeling of the learning domain is required." Damit ist zum einen quasi eine Meta-Ontologie von Lernszenarien und Objekten gemeint, wie sie etwa Meder in seinem Vortrag zur "Web-Didaktik" vorstellte. Oder Thesauri, Taxonmien bzw. Nomeklaturen des jeweiligen Fachbereich, über den die "Learning Objects" informieren. LOM sieht eine Anbindung an Fach-Taxonomien vor, die aber selbstverständlich aus den Fachgemeinschaften entstehen müssen, wenn sie nicht schon existieren. Reinhard Friedl berichtete von einem "Meta-Thesaurus" für die Auszeichnung von Dokumenten zum Fachgebiet der Kardiologie. Er Autor bezeichnet diesen Thesaurus als einen "proof of concept", bleibt aber Angaben über den Nutzen der Auszeichnung für Benutzer der Daten schuldig (zumal der Thesaurus proprietär ist). Huber wiederum von FIZ Chemie, der in "seinem" Projekt eine höhere zweistellige Zahl von Autoren für Lehrmaterialien des Lehrgebiets "Chemie im Grundstudium" zu betreuen hatte, sieht die Sache skeptischer und führte eine einheitliche Nomenklatur in der Liste von "Standards, die nicht durchzusetzen waren" (neben orthographischen und Stilvorgaben). Vor die Taxonomie-Frage sieht sich also jedes Projekt früher oder später gestellt. Wenn man es genau betrachtet, übernehmen die Projektkoordinatoren damit eine der Aufgaben, die sonst Fachverlagen mit ihrem bibliographisch und / oder dokumentarisch geschulten Personal zukommt.

Standards

Die Frage nach Standards ist der Entscheidung nach der Verwendung von Metadaten nachgeordnet. Krause drückt wahrscheinlich die herrschende Meinung in vielen Projekten aus, wenn er schreibt: "Die Standardisierungsbestrebungen im Bereich des E-Learnings haben bislang noch keine allgemein anerkannten Standards, dafür aber eine nahezu unübersehbare Anzahl von Abkürzungen und Akronymen hervorgebracht."

Dieser standard-skeptischen Einstellung widersprach allerdings Duval durch seinen Vortrag in mehrfacher Hinsicht.

  1. zeichnet sich, wie oben erwähnt, ein ISO Standard zumindest für Learning Objects ab.
  2. würden die hinter den vielen Akronymen steckenden Organisationen keineswegs gegeneinander arbeiten.
  3. stünden dem sich abzeichnenden Standard eine ganze Reihe von "Spezifikationen" gegenüber.
Vor allem der dritte Punkt stellt für Anwender eine Quelle der Verwirrung dar, denn man entscheidet sich in der Regel nicht für den Standard sondern für eine Spezifikation. Dafür ist es letztlich entscheidend, wer diese Spezifikation umsetzt oder implementiert. Hinter ARIADNE zum Beispiel steckt ein recht starkes Konsortium, das letztlich eine Spezifikation von LOM implementiert hat. Umgesetzt ist dieses Konzept der quasi-bibliothekarischen Registrierung von "Learning Objects" aber in Deutschland nur in Baden-Württemberg - schlecht für alle länderübergreifenden Projekte, also wahrscheinlich für alle. In Deutschland gibt es schließlich noch die Bibliothekaren vertrauten Regeln des RAK-NBM (für "Nichtbuch-Materialien), die zur Anwendung kommen sollten.

Anderseits gibt es die auch didaktisch vielversprechende "IMS Learning Design Specification", die stark mit der EML verbandelt ist. Koper schreibt: "One could expect a large number of implementations of EML later on, when the IMS Learning Design Specification has been published." Mit anderen Worten: wer jetzt auf EML setzt, und das ist kein geringer Verständnis- und Implementierungsaufwand, setzt auf eine ungewisse Zukunft.

Man kann sich letztlich als Projekt auch für eklektische Spezifikationen wie SCORM entscheiden, auf die Gefahr hin, letztlich zu viel Metadaten zu produzieren.

Fazit: ein Standard macht die Sache nur scheinbar einfacher, der eigentliche Impuls geht von den Spezifikationen aus, die Implementierungen von Plattformen etc. zugrunde liegen. Auf diese Spezifikationen und Plattformen aber bauen die Verwaltungs- und Geschäftsmodelle auf, die zu realisieren eine der Aufgaben der geförderten Projekte ist.

Zusammenfassung

Die Tagung konnte die Vision vieler erfolgreich agierende Lernotheken und Lern-Shops nicht sichtbar machen. Es wurden aber Pfade deutlich, die, wenn sie beschritten werden, den Fortbestand der erzeugten Inhalte über das Projektende hinaus sowie die Verbreitung der Ergebnisse zumindest sichern bzw. erleichtern können. Es muss aus diesem "Event" aber eine projektübergreifende Zusammenarbeit, selbstorganisiert oder moderiert, folgen.

Material

Die Beiträge und Folien der Vorträge, auf die ich hier teilweise Bezug genommen haben, können von der Portalseite des Workshops runtergeladen werden.

Lothar Lemnitzer, 15. April 2002


Das Copyright an diesem Dokument liegt bei Lothar Lemnitzer
Updated: April 2002   Lothar Lemnitzer